Für die Städte und Gemeinden schreibt Artikel 28 des Grundgesetzes die kommunale Selbstverwaltungsgarantie fest. Die Kommunen sollen damit ihre Angelegenheiten in eigener Hoheit entscheiden und gestalten dürfen. Die Gründe für diese verfassungsmäßig starke Stellung der Kommunen: Zum einen die Gelingensfunktion. Wie sollte ein erfolgreicher Wiederaufbau eines nach der Terrorherrschaft der Nazis und dem verheerenden zweiten Weltkrieg völlig zerstörten Deutschlands gelingen? Dies war nur in den Städten und Gemeinden möglich. Dort wusste man, was machbar war und was es am dringendsten brauchte. Zum zweiten war es die Stabilitätsfunktion: Die Urväter der bundesdeutschen Verfassung verbanden mit einer unabhängigen kommunalen Ebene die Überzeugung, dass unsere Demokratie in Deutschland antidemokratischen und totalitären Kräfte wehrhaft entgegentreten kann.
Die Städte und Gemeinden sind damit auch verfassungsrechtlich eine tragende Säule unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Das Grundgesetz formulierte 1948 in seinem Entwurf vom Verfassungskonvent Herrenchiemsee im Vorfeld zum Parlamentarischen Rat: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“
Erst der Mensch, dann der Staat. Das ist letztlich auch ein klares Bekenntnis zu Eigenverantwortung und staatlicher Subsidiarität.
Wenn wir die aktuelle Lage der Kommunen betrachten, stellt sich jedoch die Frage, wie es um die verfassungsmäßig garantierte Selbstverwaltungshoheit bestellt ist. Denn auch heute sind die Herausforderungen groß. Deutschland liegt zwar nicht in Schutt und Asche, aber unsere Demokratie steht unter Druck. Durch Einflüsse von außen, aber auch weil sich die große Politik in der Wahrnehmung vieler Menschen immer weiter von der Realität vor Ort zu entfernen scheint. Diese Realität wird in den Kommunen konkret: bei der Schaffung von Wohnraum, der Frage der Migration, bei der Suche nach Antworten auf den Klimawandel, bei der Bildung und Betreuung, der Digitalisierung oder der Mobilitätswende. Die entscheidenden Fragen landen im Kreistag, im Gemeinderat, im Ortschaftsrat, in der Verwaltung – bei Ihnen in der Gemeinschaft vor Ort.
Und immer häufiger stellen wir fest: es gibt noch nicht die richtigen Antworten auf viele dieser Zukunftsfragen.
Bundespräsident Steinmeier hat in seinem neuen Buch „Wir“ eine Staatsreform vorgeschlagen. Wörtlich sagt er: „Eine Maxime könnte lauten: weniger Regeln, aber die beschlossenen Regeln dafür klarer anwenden. Die Kommunen brauchen Luft zum Atmen und Spielräume, lokale Besonderheiten zur Geltung zu bringen.“
Diesem Leitbild folgend, ist es die Aufgabe unserer Zeit, die tragenden Säulen unserer Demokratie, die Städte und Gemeinden, stabil zu halten und zu stärken. Durch echte Gestaltungsfreiheit, durch einen erfüllbaren Aufgabenkatalog und durch mehr Vertrauen in die örtlichen Verantwortungsträger.
Gemeindetagspräsident Steffen Jäger zum Tag der Verfassung 23. Mai 2024